InterBündnis

Friedensbewegung: Nicht einverstanden mit dieser Entwicklung

Offener Brief an Arbeitsausschuss der Friedensbewegung

InterBündnis | 10.09.2022
Brief als PDF

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

viele Beteiligte ärgern sich über die Entwicklung im Arbeitsausschuss für die bundesweite Demonstration, die dazu geführt hat, dass der Arbeitsausschuss mehrheitlich von seinem Auftrag abgerückt ist, nämlich eine zentrale Demonstration für den Frieden am 1. Oktober vorzubereiten und durchzuführen. Diese Entwicklung behindert die Stärkung der Friedensbewegung gerade in einer Situation, wo sie dringend gebraucht wird. Wir sind damit nicht einverstanden und möchten mit diesem offenen Brief zum notwendigen Klärungsprozess in der Friedensbewegung beitragen.

Die Situation in der Welt hat sich verändert und auch die Friedensbewegung muss sich verändern. Nach wie vor sind die USA Hauptkriegstreiber, aber es sind neue imperialistische Kräfte entstanden, die einen Anteil an der Ausbeutung der Welt beanspruchen. Auch sie schüren Kriege, wie etwa die Türkei gegen die Kurden. Die Kräfteverhältnisse zwischen den Imperialisten verschieben sich rasant und die Beute kann letztlich zwischen ihnen nicht anders als mit Krieg neu aufgeteilt werden.

Da die USA ihre Rolle als einzige Supermacht bedroht sehen, werden sie zunehmend aggressiver und bereiten einen Weltkrieg vor gegen den strategischen Rivalen China und dessen Verbündete. Der Ukrainekrieg ist Ausdruck dieser Weltkriegsvorbereitung, die von beiden Seiten betrieben wird. Damit ist die Gefahr eines atomaren Weltkriegs bedrohlich näher gerückt. Auch die deutsche Regierung ist zu offener Kriegspolitik, massiver Aufrüstung und Militarisierung übergegangen, verbunden mit der Abwälzung der Lasten auf die Masse der Bevölkerung.

Die Aktionskonferenz der Friedensbewegung am 3.7. mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatte angesichts dieser Lage eine bundesweite Demo am 1.10. beschlossen, und sie hat dafür einen Arbeitsausschuss eingesetzt. Wir haben das sehr begrüßt und uns aktiv beteiligt. Das Internationalistische Bündnis und die bundesweite Montagsdemonstrationsbewegung haben ihre Aktivitäten am 1.10. dafür zurückgestellt.

Am gemeinsamen Aufruf entzündeten sich von Anfang an die Widersprüche, aber sie konnten auch immer wieder mit Kompromissen und mit dem überwiegenden Willen zum Konsens gelöst werden. Es ist möglich, praktisch zusammenzuarbeiten, auch wenn man sich noch nicht in allen Fragen einig ist. Allerdings wollte eine Minderheit, speziell einige Wortführer der bisherigen Friedensbewegung, Anhänger der DKP und auch Vertreter von IPPNW, mit allen Mitteln verhindern, dass in dem Aufruf eine Kritik am Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine enthalten ist. Als sie damit nicht durchkamen, sind einige dieser Leute zur Spaltung übergegangen.

Wie ist das abgelaufen? Die Arbeitsgruppe für den Aufruf arbeitete über Wochen an einer Formulierung, die alle Beteiligten mittragen können. Insgesamt dreimal, als geeignete Kompromisse erarbeitet waren, legte Jens-Peter Steffen/IPPNW parallel eigene Gegenentwürfe auf den Tisch, in denen jeweils eine klare Kritik an Russland fehlte. Am 23.8. war die endgültige Abstimmung geplant und es war abzusehen, dass die Aufnahme der Kritik an Russland in den Aufruf eine große Mehrheit finden würde. Daraufhin haben Willy van Ooyen, Reiner Braun, Jutta Kausch-Henken, Wiltrud Rösch-Metzler, Jens-Peter Steffen, Angelika Wilmen und Lühr Henken einen Tag vorher erklärt, nicht mehr im Arbeitsausschuss für die zentrale Demo mitzuarbeiten, sondern zu dezentralen Aktionen aufzurufen. Das haben sie verbunden mit dem leicht umformulierten Aufruf von Jens-Peter Steffen - ohne Kritik an Russland - der jetzt nicht mehr diskutiert werden sollte.

Wenn jemand aus dem Arbeitsausschuss aussteigen will, weil die eigene Meinung nicht durchzusetzen ist, dann ist das ein bedauerlicher Mangel an demokratischem Respekt. Wenn jedoch sieben Personen, die sich als führende Kräfte der Friedensbewegung verstehen, ihren Ausstieg mit der Ankündigung von dezentralen Aktionen am selben Tag wie die beschlossene zentrale Demo verbinden, dann ist das Spaltung! Es zeigte sich schnell, dass diese Spaltung den Charakter einer Erpressung hatte: Wenn der Arbeitsausschuss an seinem Auftrag festhalten würde, eine zentrale Demo zu organisieren, gäbe es zwei konkurrierende Aufrufe der Friedensbewegung. Offenbar spekulierten die sieben Personen darauf, dass die Mehrheit sich der Minderheit unterordnen würde, um nach außen den Schein der Einheit zu wahren. Das war eine „machtpolitische Demonstration gegen die bundesweite Demonstration“, wie es eine Teilnehmerin später ausdrückte.

Am nächsten Tag waren alle sieben „Aussteiger“ dann doch wieder beim Aktionsausschuss und übernahmen sogar die Diskussionsleitung, aber nur um den Arbeitsausschuss von seiner eigentlichen Aufgabe abzuhalten, den Aufruf für die Demo am 1.10. zu beschließen. Mit der manipulativen Fragestellung: „Wer kann unter keinen Umständen mit dem neuen Aufruf leben?“ kam eine knappe Mehrheit für den Aufruf und für dezentrale Aktionen zu Stande.

Das Internationalistische Bündnis kritisiert den ganzen Vorgang grundsätzlich und hält an dem Ziel einer zentralen Demo am 1.10. fest. Es wäre ein verheerendes Signal an die Friedensbewegung und an die Öffentlichkeit, wenn eine geplante zentrale Demo in Berlin abgesagt würde. Dezentrale Aktionen haben durchaus ihre Berechtigung, wie etwa die Ostermärsche oder am Antikriegstag. Aber die Entscheidung für eine zentrale Demo in Berlin im Herbst wurde von den über 200 Teilnehmern mit guten Gründen getroffen.

Der Arbeitsausschuss wurde von der Aktionskonferenz der Friedensbewegung am 3.7. zur Vorbereitung der zentralen Demo eingesetzt und nicht für dezentrale Aktionen. Er hatte also gar nicht das Recht, stattdessen für dezentrale Aktionen abzustimmen. Wer den Auftrag ändern will, der muss eine neue Aktionskonferenz fordern. Ein so weitreichender Beschluss wurde auch noch mit relativ knapper Mehrheit gefasst, was ein Verstoß gegen das Konsensprinzip ist.

Zweitens muss gesagt werden, dass bereits vollendete Tatsachen geschaffen wurden bevor es im Arbeitsausschuss eine Entscheidung gab. In Berlin wurde die angemeldete Route der zentralen Demo für eine lokale Demo der FriKo Berlin gekapert. Dafür wurden bereits Aufrufe gedruckt bevor der Arbeitsausschuss beraten konnte.

Drittens hatten die sieben „Aussteiger“ am 22.8. einen Aufruf verschickt, in dem behauptet wurde: „Die zwei bundesweiten Netzwerke „Kooperation für den Frieden“ und „Bundesausschuss Friedensratschlag“ rufen gemeinsam die Bevölkerung auf, sich am bundesweiten dezentralen Aktionstag zu beteiligen.“ Das war eine Anmaßung und eine Täuschung des Arbeitsausschusses. Sie mussten später zugeben, dass es eine Privatinitiative der sieben Leute ohne Mandat ihrer Bündnisse war.

Viertens und vor allem ist es nicht akzeptabel, Positionen festzuklopfen, die bekanntermaßen von einem großen Teil der Friedensbewegung nicht getragen werden können. Wir können uns nicht einem Aufruf anschließen, der nach einen halben Jahr Krieg Russlands gegen die Ukraine kein Wort zu diesem Krieg sagt. Wir können auch nicht unterschreiben, dass „nur Diplomatie“ den Krieg beenden könne. Schließlich wurden weder der erste noch der zweite Weltkrieg durch Diplomatie beendet, auch nicht z.B. der Vietnamkrieg. Wir kritisieren auch grundsätzlich, dass der neue Aufruf keinerlei soziale Forderungen zum Kampf gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten enthält, etwa gegen die Gasumlage, sondern nur ein „Investitionsprogramm“ fordert.
Die Friedensbewegung steht an einem Scheideweg: Akzeptiert sie, dass eine Minderheit ihre Positionen ohne Rücksicht auf Verluste durchdrückt, weil sie die Friedensbewegung vielleicht als ihr Privateigentum betrachtet? Akzeptiert sie, dass eine beschlossene und dringend notwendige zentrale Demonstration torpediert wird? Dann riskiert die Friedensbewegung ihren Niedergang gerade in einer Zeit wo sie so dringend gebraucht wird wie selten zuvor. Oder findet sie zu demokratischer Willensbildung und Entscheidung, um ihre Aufgabe der Massenmobilisierung gegen die Weltkriegsgefahr zu erfüllen?

Eine neue Friedensbewegung ist nötig und sie entsteht, unabhängig davon ob es dem einen oder anderen „Platzhirsch“ gefällt oder nicht. Alle ehrlichen Friedenskämpfer werden in dieser neuen Friedensbewegung gebraucht.

In dieser Situation, genau am 1. Oktober, wo die Gasumlage in Kraft treten soll, ist es zwingend notwendig, in Berlin gegen die Regierung zu demonstrieren. Deshalb halten wir an einer zentralen Demo am 1.10. fest und laden dazu ein, diese auch gemeinsam vorzubereiten. Wir wenden uns an alle Kräfte aus dem Friedenskampf, aus dem Kampf gegen die Gas-Umlage, an antifaschistische Kräfte. Wir werden uns parallel auch an regionalen Demonstrationen am 1.10. beteiligen. Natürlich bleibt unsere Hand ausgestreckt auch an alle, die weiter an einer gemeinsamen bundesweiten überparteilichen Demonstration zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr arbeiten.

Die Friedensbewegung muss den Kriegstreibern in den Arm fallen, um einen Weltkrieg zu verhindern. Sie werden nur dann aufhören, die Weltkriegspläne weiter zu eskalieren, wenn sie fürchten müssen, von Volksaufständen von ihrer Macht verjagt zu werden. Deshalb muss die neue Friedensbewegung vor allem aktiven Widerstand entwickeln – in den Betrieben und auf der Straße, in Schulen und Hochschulen. Wir laden alle, die daran mitwirken wollen, und alle, die an dem notwendigen Klärungsprozess interessiert sind, zum bundesweiten Kongress der Kräfte der neuen Friedensbewegung am 2.10. in Berlin ein. Lasst uns solidarisch zusammen kämpfen und streiten!

Mit solidarischen Grüßen
i.A.

Fritz Ullmann

geschäftsführender Ausschuss der zentralen Koordinierungsgruppe des Internationalistischen Bündnisses

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